Folter, Misshandlung, strukturelle Gewalt: Betroffene benötigen spezifische Beratung und Gesundheitsversorgung
Folter und Gewalt sind in vielen Herkunftsländern von Geflüchteten sowie auf den Fluchtrouten weit verbreitet. Betroffene tragen körperliche und seelische Folgeschäden davon. Refugio behandelt in Bremen und Bremerhaven regelmäßig Überlebende von Folter und hat zudem ein multidisziplinäres Netzwerk zur Unterstützung Betroffener initiiert. Anlässlich des Internationalen Tags zum Schutz der Folteropfer (26. Juni) betonen Refugio und das Netzwerk die enorme Bedeutung einer frühzeitigen Beratung und der Dokumentation von Folterspuren.
„Dies dient neben der gesundheitlichen Versorgung auch der Wahrung ihrer Rechte und bildet die Grundlage für die individuelle und juristische Aufarbeitung der Taten“, so Björn Steuernagel, Vorstand von Refugio e.V., Träger des gleichnamigen Behandlungszentrums.
Folter begegnet Geflüchteten in ihren Herkunftsländern, aber auch auf den Fluchtrouten, etwa in den libyschen Gefangenenlagern. Auch in Europa werden Geflüchtete Opfer von exzessiver Gewaltanwendung, etwa von Grenzpolizist:innen in Bulgarien, Ungarn oder Griechenland, berichten uns Betroffene. Etwa 10% der Klient:innen von Refugio, geflüchtet aus Afghanistan, Gambia, Somalia, Syrien oder der Türkei, haben Folter erleben müssen.
Die frühzeitige Erkennung und Dokumentation von Folterspuren ist z.B. für das Asylverfahren relevant, da Gewalt‐ und Foltererfahrungen wichtige Kriterien für das Erlangen eines Flüchtlingsschutzes sind. Betroffene verschweigen Foltererfahrungen jedoch regelmäßig, etwa aus Scham oder weil sie in Folge einer Posttraumatischen Belastungsstörung an Gedächtnisstörungen und Abwesenheiten leiden. Auch mangelndes Vertrauen gegenüber staatlichen Stellen kann gerade bei Opfern von struktureller Gewalt dazu führen, Erlebtes zu verschweigen. Dies schildern uns Klient:innen sehr häufig: So auch eine weibliche Person aus der Türkei, die als Menschenrechtsaktivistin durch die Polizei in ihrem Herkunftsland misshandelt wurde. Verbliebene chronische Schmerzen hat sie erst im Gespräch mit einer Therapeutin bei Refugio erwähnt und bisher aus Angst, die Information könnte von staatlichen Behörden weitergereicht werden, verschwiegen.
„Der Wiederaufbau von Vertrauen ist entscheidend. Die geschützte Atmosphäre und die professionellen Angebote eines Psychosozialen Behandlungszentrums bilden hierfür die Grundlagen“, bestätigt Danja Schönhöfer, therapeutische Leiterin von Refugio.
Gleichzeitig mangelt es an einer Bedarfsgerechten multiprofessionellen Struktur, die sowohl zu juristischen Aspekten berät als auch den Zugang zur Versorgung somatischer Belange bahnen kann. Denn Elektroschocks, Schläge oder sexuelle Folter gemäß dem sogenannten Istanbul‐Protokoll zu begutachten und zu dokumentieren bedarf fachärztlicher Expertise und Ressourcen. Als Modell kann die Gewaltschutzambulanz dienen, die jüngst im Bremer Klinikum Mitte eröffnet wurde.
Im Rahmen des EU‐Projekts SAFE behandelt Refugio potentielle Betroffene von Folter und mit dem unlängst gegründeten ‚Netzwerk Folter‘ streben wir eine Verbesserung der zukünftigen Zusammenarbeit mit Jurist:innen, Fachärzt:innen und Beratungsstellen an, ermittelt Wissensbedarfe, regt Fortbildungen und will eine Vermittlung von Geflüchteten ins Gesundheitssystem erleichtern. Um allerdings den akuten Bedarfen gerecht zu werden braucht, es eine strukturelle Erweiterung der Beratungs‐ und multiprofessionellen Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene von Folter, insbesondere bei Refguio.